Medea – the Healer
Frauenmuseum Bonn. 25.11.24 – 5.3.25
Text. Curator. Dr. phil. Lily Fürstenow-Khositashvili
Die Georgier sind der festen glauben, dass Medea die Magie des Heilens besitzt und daher die Mutter aller Medizin und die archetypische Mutter ist: stark, fürsorglich, streng und klug. Vor allem aber ist sie die Heilerin mit dem tiefen Wissen der dunklen Geheimnisse der Natur. Das Thema der Heilung ist in unserer Zeit unglaublich aktuell, vor allem wenn es sich um nicht-traditionelle Heilmethoden handelt, die auf nicht-schriftlichen mündlichen Überlieferungen beruhen, genau so wie das georgische Epos der Medea, bevor es von Euripides in eine klassische griechische Tragödie verwandelt wurde. Mit dieser Ausstellung versuchen wir, die heilenden Kräfte der Kunst zu aktivieren, die wahrscheinlich nicht alle Übel heilen, aber dazu beitragen werden, unsere Perspektive zu ändern und konventionelle Mythen und Überzeugungen zu dekonstruieren. Wäre das nicht der Anfang der Heilung? Zumindest auf lange Sicht des Kuratierens, denn „cura“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „heilen“.
Ich habe die Ursprung von Medea Mythos nachgeforscht – die Quellen haben es nachgewiesen: Medea hat ihre Kinder nicht getötet aus Wut und Eifersucht, die Bewohner von Korinth haben es gemacht weil die wollten Medea als Königin nicht haben obwohl Sie die rechtmäßige Königin sein sollte. Die Korinther haben Euripides Geld bezahlt so dass er in seine Tragödie Medea als Kindermörderin darstellen ließ: ” … irregeführt von dem Dramatiker Euripides, den die Korinther mit fünfzehn Talenten Silber bestachen, sie von ihre Schuld frei zu sprechen – daß Medea zwei von ihrer eigenen Kinder tötete… Da jedes Drama, das bei den Athenischen Festspielen zu Ehren des Dionysos einen Preis gewann, sofort religiösen Einfluß erlangte ist es sehr wahrscheinlich, daß die Korinther Euripides für seine großzügige Änderung der nun entehrenden Mythe gut bezahlten. (Robert von Ranke-Graves. Griechische Mythologie. Quellen und Deutung. 1960 Rowolt. Hamburg. S. 575-576. )
Weiter lesen wir folgendes zu Jason: “Die Wahrheit ist, daß Iason die Gunst der Götter verlor, deren Namen er mißbraucht hatte, als er sein Versprechen an Medea brach und heimatlos, gehaßt von den Menschen, von Stadt zu Stadt wanderte … Medea wurde unsterblich und regierte in den Elysischen Gefilden, wo sie und nicht Helena, wie manche sagen, Achilles heiratete.” Ibid. S. 577.
Die erste Ausstellung von Medea Reihe hieß Medea’s Töchter. Ewigkeit ist eine Lüge im hinterkonti e.V. Hamburg und war von mir im März 2024 kuratiert. Wir zeigten Gemälde, Installationen und Filme von Künstlerinnen aus Deutschland und Georgien. In diese Ausstellungsreihe geht es um die grundsätzliche Fragen wie: welche Narrativen bestehen, und welche nicht? Warum bestimmte Narrative, obwohl diese nicht mal die Wahrheit entsprechen, allgemein akzeptiert sind? Was sagt es über unsere Gesellschaft?
Viele Menschen hinterfragen die etablierte Narrativen, geschweige antike Mythen nicht, besonderes Frauen in traditionelle Gesellschaften – wie z.B. georgische Gesellschaften – trauen sich nicht irgendetwas zu hinterfragen. Alte Narrative bestehen und stigmatisieren ganze Bevölkerungsgruppen. Kunst könnte es ändern, unsere Sichtweise ändern wenn es emotional wirkt und ehrlich ist.
Diese Ausstellung sollte uns alle, besonderes Frauen in Kunst ermutigen Fragen zu stellen und konventionelle meist Männernarrative und Mythen zu dekonstruieren.
Die Malschule in Georgien ist immer noch vom Sozrealismus geprägt wie wir es sehen in viele ausgestellte Werken, nun aber ist es die ehrliche Art wie die teilnehmende Künstlerinnen die Medea Thematik behandeln. Viele Werke haben auch orthodox-byzantinische Bildersprache, ganz wichtig ist, dass es emotional-beladene Bilder tief in archetypische Vorstellungen von Medea in Georgien verankert sind. Die Georgier glauben dass der Wort “Medizin” von Medea stammt. Sowie die berühmte Medicis mit Medea verwandt sein sollten da es ursprünglich Apothekerdynastie war: “Charakteristisch für eine Zauberin wird Medeas Darstellung mit einem etruskischen Inschrift ‘Metaia” auf ihren Umhang. Es befindet sich auf Buccero Olpe aus 630. vor Chr. Medea wird als Hexe vor dem Opferstativ dargestellt. Dieses Artefakt wurde 1988 in der Nähe von San Paolo in Griechenland in einem etruskischen Grab gefunden und ist für die etruskische Kunst dieser Zeit charakteristisch.” Medea’s Newly Discovered Ancient Imagery. Nino Lordkipanidze. Logos. Tbilisi. S. 5-8.
Obwohl die georgische Identität wie jede Identität in unsere Post-moderne Zeiten zutiefst gespalten ist – in Frage Medea sind die Künstlerinnen einig – es ist ein mystisches aber positives Gestalt von Heilerin und Pflegerin. Weil Medea ausserhalb der Zeit und ausserhalb religiöse Vorstellungen von Frauen in Christentum oder in Islam wahrgenommen wird – ist es die ewige Epos.
Zu Frage wo den sagenumwobene Goldene Vlies sich befindet – es ist eben geraubt worden. Es gibt ihn in Georgien nicht mehr, oder vielleicht gab’s auch nie. Aber die Legende lebt in zahlreichen Legenden, Geschichten, Literatur und Film, allein in unzähligen Restaurant und Unternehmensnamen z.B. Aiety TV Sender und Firmenlogos die den Goldene Vlies darstellen oder sich nach ihn benennen, Frauennamen – viele Mädchen sind nach Medea (Medo) benannt. Goldene Vlies – der unsagbare Schatz sollte die Quellen nach in West Georgien gewesen sein in die schnellen Bergflüssen aber bis jetzt hat ihn keiner gefunden.
Diese Ausstellung ist das Ergebnis einer intensiven Arbeit mit einer Gruppe von Künstlerinnen aus Georgien, die ihre Werke in den letzten Jahren in ganz Europa ausgestellt haben und die aus einer von mir kurz vor Pandemie in Berlin kuratierten Ausstellung mit dem Titel 9×9 hervorgegangen ist. Seit 2019 wurde die Zahl der Künstlerinnen von 9 auf 19 erweitert. Wir haben die Künstlerinnen mit der Aufgabe konfrontiert, ein Kunstwerk zum Thema Medea zu schaffen, ihr Verständnis und ihre Interpretation dieser mythischen Figur. Hier stellen wir einige der ausgewählten Positionen vor. Da Medea eine Protagonistin ist, die im europäischen Kulturbewusstsein auch außerhalb Georgiens tief verankert ist, haben wir auch ein Paar künstlerische Positionen auch aus Deutschland ausgewählt. Auch diese setzen sich mit die Thematiken von “care” und “cure” in die Zeiten von KI und digitale Technologien.
Zum Beispiel
Ornamente der Fürsorge
Anne Meerpohl und ANna Tautfest, Material Bannerstoff UV-beständig, Maße 1) 90 x 240 Maße 2) 220 x 240 cm, 2022
Mit Händen greifen, halten, schützen, mit Händen schreiben, beschreiben, mit Händen fühlen und be-greifen wir. Gesten werden unterstrichen, Finger verweben sich. Körper verknoten sich, reihen sich aneinander, gehen Verbindungen ein. Die Hand als Geste der Zuneigung, des sich Annäherns wird von Anne Meerpohl als Handzeichnung angefertigt und ruft Szenen des Miteinanders hervor. Kombiniert zu Mustern, Pattern, zu Gesten der Wiederholung schreibe ich (ANna Tautfest) sie dem Blicke-Kanon der Ornamentik ein und gebe den einzelnen, persönlichen Hand-lungen einen strukturierten und strukturellen Rahmen. Die fürsorgliche Hand, die Care-Geste bekommt in ihrer wiederholenden Tätigkeit eine Verstetigung im Muster zugeschrieben. Die Wiederholung, das nicht-Einzigartige, wird gerahmt und in ihrer Summe zum festgestellten Flirren eines Musters gewandelt. Bei der kollektiven Her-stellung spielt die Re-produktion die Rolle der Produktion, sie wird zur Figur erhoben und gelangt als Akteur_in in die Repräsentation. Der Verschränkung der verschiedenen Sphären in diesem Zusammenspiel – dem Multi-Perspektivischen von Arbeit, Zugehörigkeit, Herstellung und Kümmern – wird repräsentativ auf einem Banner, einem Aushängeschild Ausdruck verliehen.
Einbettung wiederum fanden die Ornamente an den Containerwänden der Care-Station der kollektiv arbeitenden Gruppe “Experimentelle Klasse”. Sie dienten als Außenfassade – als Gesicht – als Innenraumerzeugende als Bezugnahme, als schützende Hülle. Die Konstellation der Banner in performativen Workshops, Lesungen, mit Postern hat in neuerlicher Überschneidung Atmosphären, Begegnungen und Gespräche begleitet und mit hervorgebracht. Das kollektive Arbeiten wird nicht nur zum Produktionsprinzip erhoben, es birgt auch eine eigene Wirklichkeit und Lebensweise, ein miteinander Denken und Arbeiten, das sich loslöst von einzelner Repräsentation. Die Neu-Kombination erzeugt ihren Inhalt jeweils mit.
Linda Werners Computer-Installationen, die auf der Verwendung einer speziellen Software basieren, die menschliche Datenarchive zur Bestimmung der menschlichen Psychotypen nutzt, zeigen ihren experimentellen und kritischen Ansatz zu neuen Technologien aus einer innovativen Perspektive.
Die Installationen beziehen die Öffentlichkeit mit ein und hinterfragen unsere Wahrnehmung von Maschinen und den Einfluss der neuen Technologien auf unser Leben. Ihre Installationen zur Gesichtserkennung setzen sich kritisch mit Algorithmen und Robotern auseinander, die Menschen anonym bewerten, indem sie Fähigkeiten, Intellekt und Fertigkeiten anhand von physiognomischen Daten messen: wie dem Abstand zwischen den Gesichtszügen und der Form der Falten. Es ist allgemein bekannt, dass die neuen Technologien KI und Roboter unsere Zukunft in immer stärkerem Maße bestimmen werden, indem sie die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine verändern. Die Arbeiten von Linda Werner thematisieren diesen Prozess. Langfristig liegt es an jedem von uns zu entscheiden, ob der Mensch-Psycho-Typ dijenigen, die den von Linda Werner entwickelten Test machen, wahr oder falsch ist. Aber sobald Algorithmen in größerem Umfang von großen Unternehmen bei der Einstellung oder Bewertung von Personal oder anderen lebenswichtigen Entscheidungen eingesetzt werden, vertieft sich das Dilemma, und es stehen mehr ethische Fragen auf dem Spiel.
Die Installation befasst sich vor allem mit falschen Wahrheiten, die allgemein akzeptiert werden und als etablierte Narrativen in die Geschichte eingehen, wie es war im Fall von Medea. Es geht um Schilderung von Halb-wahrheiten aller Art, die Vorurteile und Ungerechtigkeit vor allem gegenüber Frauen schaffen, denn meist Komputerprogramme von Männer kreiert sind. Denn während in der griechischen Antike Mythen und Theaterstücke religiösen Status erlangten und unhinterfragt akzeptiert wurden, haben in der heutigen technologischen Ära Maschinen die Götter ersetzt und genießen mehr Glaubwürdigkeit als Menschen.
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