Fotoreihe: Was bleibt

Die Serie Was bleibt ist Ergebnis meiner künstlerischen Auseinandersetzung mit der Erfahrung von Flucht und Migration. Sie thematisiert den Verlust von Heimat und Identität. Dabei ist das Konzept der Arbeit minimalistisch: Die fotografische Darstellung konzentriert sich auf das was bleibt.

Die Arbeit versammelt Objekte, welche die Flüchtenden in ihre neue Heimat mitgebracht haben – entweder, weil sie diese nicht zurück lassen wollten, oder weil sie auf dem Weg ihrer Flucht eine existentielle Bedeutung für sie erlangt haben.

Der mehrfach für den Friedensnobelpreis nominierte zyprisch-türkische Psychoanalytiker und Psychologe Vamık Djemal Volkan nennt diese Dinge Verbindungsobjekte. Es sind Werkzeuge, die den Flüchtenden helfen, sich mir ihrer neuen Situation anzufreunden. Denn – so erklärt er – man kann nicht in ein anderes Land gehen, ohne eine irgendwie geartete Verbindung zum vorherigen Leben mitzubringen, sonst ist man ein Niemand.

Die fotografischen Stillleben werden personalisiert. Durch kurze Texte erfährt der Betrachter den Namen des Geflüchteten, sein Geburtsland, sein Alter bei Ankunft in Deutschland [letzte Zahl in Klammern] und die Route des Objekts. Lücken lassen darauf schließen, dass der Betreffende mit dem Objekt entweder über Landesgrenzen hinweg geflogen ist oder geschmuggelt wurde und insofern den Weg nicht kennt. Die Texte sind in deutscher Sprache, da Deutschland das Ziel der Flüchtlinge und die Sprache ihrer neuen Heimat ist.

Die Besitzer der Dinge sind also selbst visuell nicht präsent, werden durch die Informationen aber indirekt wieder ins Bild geholt. Indem die Geflüchteten selbst unsichtbar bleiben, werden sie nicht zu Repräsentanten einer bestimmten Situation, Krise oder Katastrophe.

Auf diese Weise verschränkt sich der allgemeingültig existenzielle Ansatz der Arbeit mit dem jeweils Besonderen des individuellen Schicksals. Zugleich aber eröffnen die personalisierten Objekte dem Betrachtenden Denkräume und sprechen ihn unmittelbar an.

Die Motive werden mit einem vom Print abgesetzten Rahmen gehängt, zwischen Rahmen und Bild klafft eine Lücke. Das entspricht den dargestellten Objekten, die in der Erinnerung der Geflüchteten, losgelöst von ihren Funktionen, einen geradezu metaphysischen Wert erhalten. Das Fluchtgepäck wird gerahmt, nicht die Fotografie, zwischen dem Kunstwerk und der Welt des Betrachters entsteht ein Raum.

Die Serie umfasst 20 Exponate. Die Fotografien sind auf Inkjet Hahnemühle Photo Rag 308 g gedruckt und auf Alu Dibond 5 mm kaschiert. Die Rahmen bestehen aus Birkenholz, B 4 mm x T 5 mm, weiß lasiert. Die Größe der Werke beträgt H 580 mm x B 440 mm x T 5 mm. Die Werke haben eine limitierte Auflage von 3 Exemplaren zuzüglich 2 Artist‘s Proofs auf Forex 5 mm kaschiert.

Die Serie aus 2016 mit den 20 Exponaten wurde in den Jahren 2018 bis 2021 um weitere 30 Verbindungsobjekte ergänzt, um die gesamte Arbeit 2022 in einem Buch gleichen Namens im KRAUTin Verlag zu publizieren.

Die zwanzig Exponate einschließlich zwei neuer Objekte finden sich online unter: www.gester.eu/de/was-bleibt-komplett
Das Passwort lautet: wAs20/!

 

Fotoreihe: It’s your climate too – Nachbilder einer Pandemie

747 Sonnenstunden. Das meteorologische Frühjahr 2020 hält einen neuen Rekord, es war der sonnenreichste Frühling in Berlin seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1893. Und er war viel zu trocken.

Mit Beginn der Corona-Pandemie, in der Zeit des ersten Lockdowns, zeigte sich die doppelte Krise. Eine zweifache Bedrohung: unmittelbar durch das neue Coronavirus SARS-CoV-2 für die Gesundheit jedes Einzelnen und mittelbar durch die Klimaerwärmung für das Überleben der gesamten Menschheit. Und beide haben die gleiche Ursache: das ungebremste Eindringen des globalen Kapitalismus in intakte Ökosysteme.

Wenn die Klimaveränderung und der neue Virus eines lehren, dann ist es unsere Verletzlichkeit. Sie erzwingen ein Bewusstsein unserer eigenen Körperlichkeit, auf die folglich auch alle Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zielen: Nähe, Kontakt und Gemeinschaft. Alles das, was sowohl unser Menschensein als auch die Gesellschaft ausmacht.

Wesentliche Momente des öffentlichen Lebens wurden gekappt und unsere Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Deutlich sichtbar an den Absperrbändern, die in dem Frühjahr auch das Berliner Stadtbild durchzogen.

Die rot-weißen Bänder veränderten den Stadtraum und zogen die Blicke auf sich. Sie wurden zu einer eigenen Attraktion und waren zugleich Symbole für den Ausnahmezustand.

Die Formgebung der Bänder bewirkte eine Art Neuvermessung der Stadt. In ihrer fast dreidimensionalen Plastizität entstand eine Architektur des Zwischenraums. Die auf eine ganz passende Weise im Außen unsere innere Suche nach neuer Orientierung erfasst.

Die vertraute Stadt zeigte sich fremd, in ungewöhnlich intensiven Farben aufgrund der außer- gewöhnlich reinen Luft. Ich habe mich in Berlin wie eine Touristin bewegt, die Hotspots auf Fotos festhält. Temporäre „Hotspots“ ganz im gegensätzlichen Sinne, denn schließlich waren die Orte abgesperrt. Dennoch waren sie ungewollte Anziehungspunkte. Sie wirkten skurril und teilweise von virtueller Qualität. Die Umschlingungen einiger Objekte ähnelten sogar der Objektkunst, transformiert zu etwas gänzlich anderem als ihrem ursprünglichem Zweck.

In Anlehnung an die Ästhetik von Polaroids erhalten die Fotografien eine weiße Umrandung. Wie Sofortbilder werden sie beschriftet, doch nicht mit persönlichen Notizen, sondern mit Informationen zu Ort und Zeit. Die Straßen- und Ortsnamen, vom Europaspielplatz bis zur Germaniapromenade, fügen eine weitere Ebene ein und kommunizieren mit den Fotografien. In ihrer Gesamtheit bilden sie ein zeithistorisches Panorama der Stadt.

„it’s your climate too“ ist der Text von Aufklebern, die passenderweise zu der Zeit in der ganzen Stadt zu finden waren und auch auf einem der Bilder zu sehen sind.

Die Serie von 2020 umfasst 32 Bilder, 32 wie ein überlanger Monat, der gedehnten Zeit der Pandemie entsprechend. Die Fine Art Prints sind auf Canon Glossy 300 g gedruckt, die Größe der Werke beträgt 30 cm x 30 cm. Sie sind limitiert auf 5 Exemplare zuzüglich 2 Artist’s Proofs.

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Lebenslauf

Dagmar Gester, 1976 in Bremerhaven geboren, lebt und arbeitet als Fotografin in Berlin und Sofia. Geprägt durch ihr Studium der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, fokussiert sie auf unseren Heimatbedarf und den dazu konträr verlaufenden biografischen Bruchstellen im Leben.

Vor ihrer künstlerischen Laufbahn arbeitete Gester für internationale Hilfsorganisationen im ehemaligen Jugoslawien. Diese Erfahrung der Fragilität von Zugehörigkeit verbunden mit einer zunehmenden Ratlosigkeit über die Bildstrategien der journalistischen Fotografie wurde für Gester zum Auslöser für ihre konzeptionellen Arbeiten.

Die Künstlerin destilliert aus aktuellen und kontroversen Themen unserer Zeit deren existenzielle Bedeutung, um das Unaussprechliche menschlicher Emotionen zu visualisieren. Dabei entwickelt sie eine bildliche Narration und materielle Umsetzung, die From und Inhalt zu einer intensiven Einheit verschmelzen lässt. Die konzeptionellen Werkserien kreieren so einen Resonanzraum, der den Betrachtenden einen individuellen Zugang zu globalen Themen ermöglicht. Aus diesem Grund versteht Gester ihre Werke als Dialogträger.

Dagmar Gester genießt internationale Anerkennung: Ihre Arbeiten werden in renommierten Kontexten wie dem Goethe-Institut Kabul, dem Museum Neukölln, dem Pabellón Cuba in Havanna, dem Dongguan Exhibition Center in China oder dem Kopenhagener Fotofestival ausgestellt und sind in Sammlungen wie der Stiftung Edith-Maryon in Basel, der Stiftung Deutsches Historisches Museum in Berlin und dem Stadtmuseum Berlin vertreten.