#softporn

Anfang 2018 machte ich mich auf die Suche nach einem Archiv, über dessen Verbleib ich bereits einige Anhaltspunkte hatte: Eine Serie von pornografischen Comics italienischer Her- kunft, die von sexuell expliziter Natur sind und einen hohen Grad an Gewalt und Terror be- sitzen. Diese gehörten , die meinem Großvater (gebürtiger Italiener), der diese in den 1980er und 1990er Jahren in Kolumbien vertrieb. In den Innenseiten dieser Pornoheften habe ich bereits ziemlich viele „barbarische Darstellungen“ gefunden, die einen Bezug zu diesem Pro- jekt haben könnten.

In diesen Heften prallen verschiedene Ebenen aufeinander. Die Innenseiten sind frag- mentiert und zerschnitten. So ergeben sich inhaltliche Lücken und geben den Blick frei auf die Inhalte der darunterliegenden Seiten. Daraus resultieren unerwartete, neue Bildkombina- tionen und Zusammenhänge. Außerdem unterstreicht dieses Bildgefüge das Phänomen der Opazität – die Unzugänglichkeit des Materials. Ferner entsprechen sie einer symbolischen Brücke zwischen zwei Kontinenten, Ländern und Kulturen und schlagen eine weitere Brücke zu meinem Interesse für die Vielschichtigkeit der Blindheit und des Ungesehenen.

Die Blindheit ist ein facettenreiches Phänomen, das sich nicht einzig auf das biologis- che Sehvermögen reduzieren lässt. Die Erfahrung der Blindheit tritt in sehr unterschiedlichen Ebenen in Erscheinung und betrifft uns –in gewissen Massen– alle. Seit Jahren begleitet mich und meine künstlerische Arbeit diese bestimmte Thematik. Blickstrukturen, Sehen und vor al- lem die Blindheit sind Themen mit denen ich mich innerhalb meines künstlerischen Schaffens seit Jahren täglich und vor allem kritisch beschäftige.

In diesen Comics wird etwas gezeigt, was sich vor unseren Augen offensichtlich vers- teckt. Das Material erscheint im Gegensatz zur aktuellen üblichen (Hochglanz-)Pornografie als eine verschleierte Form der Pornografie; sie ist verzögert und sporadisch. Die heu- tige Gesellschaft verfügt über ein sensibilisiertes Bewusstsein für soziale, sexuelle und geschlechtsspezifische Empfindlichkeiten und ist gleichzeitig mit einem veralteten Denken um geschlechterspezifische Rollenmodelle belegt (Dilemma des „political correctness“).besonderes Thema.

Im Rahmen meines Meisterschülerstudiums an der HGB-Leipzig arbeitete ich an Ob- jekten, Druckgrafiken und Malereien, die diese Bildlücken und die darin verschleierte Por- nografie in eine neue Bildsprache umsetzen. Die vielfältige Sammlung von Onomatopoe- ia-Typen mit sexueller Konnotation, die auf den Innenseiten auch zu sehen sind, habe ich auch als Ausgangspunkt für eine Serie an Objekten mit einer haptischen Qualität genommen.

Schon seit einiger Zeit befasse ich mich in meiner künstlerischen Praxis damit, woraus sich eine beidseitig intensive Kollaboration mit einer Berliner Blindenwerkstatt (DIM) ergab. Diese Werkstatt pflegt u. A. eine handwerkliche Tradition, die mich sehr angesprochen hat aufgrund meines Interesse für das Thema der Blindheit. Durch verschiedene Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Menschen, die eine visuelle Beeinträchtigung haben, entstanden im Rahmen dieser Kollaboration Wandinstallationen mit einer Bürstenoberfläche. Diese Objekteverbinden die verschiedenen Sinneswahrnehmungen mit künstlerischen Ausdrucksformen: Das Tasten, das Sehen mit Formen der Typografie. Durch die Zusammenstellung von den ver- schiedenen Arbeitsarten wird den visuellen Zusammenhang erst geschaffen. „GULP“, „SPUT“, „SLURP“ unterschreiben den intimen Akt. Über diese sinnliche und onomatopoeische Ebene findet meinen Projekt in diesem sogennanten “opaque prescence” einen Echo.

– Juana Anzellini

JUANA ANZELLINI

Geboren wurde ich 1985 in Bogotá, der
auf 2600 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Hauptstadt Kolumbiens. An
der Universidad de los Andes absolvierte ich im Jahr 2009 was in Deutschland nur
mit einem Bachelor of fine Arts anerkannt wird. 2015 habe ich am Caspar-David-Frie- drich-Institut der Universität Greifswald mit einem Master of Fine Arts abgeschlossen. Im Herbst 2021 habe ich mein Meister- schülerstudium an der Hochschule fürGrafik und Buchkunst in Leipzig abgeschlos- sen. Seit 2013 habe ich in Deutschland

an vielen Ausstellungen mitgemacht undPreise erhalten. In den letzten Jahren kann ich auf folgende besonderen Auszeichnun- gen zurückblicken:

– 2022 habe ich das Neustart Kultur Stipendi- um (Stiftung Kunstfonds) bekommen.

– Die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen hat 2020 die monochromatischen Arbeiten „Und alles, was du nicht siehst“ angekauft.

www.juana-anzellini.com @juananzellini

Erziehung

2021 – Meisterschülerin an der HGB-Leipzig / Prof. Helmut Mark. Leipzig, DE. 2015 – Master of Arts. Caspar David Friedrich Institut, Universität Greifswald, DE. 2014 – Sommer Courses, Universität der Künste. Berlin, DE.
2009 – Bachelor Bildende Kunst, Universidad de los Andes. Bogotá, KOL.

– Wahlfach Literatur, Universidad de los Andes. Bogotá, KOL.
2006/07 – Ak. Austausch Ak. für Bild. Kunst Mainz / Prof. Friedemann Hahn. Mainz, DE.

Preise und Stipendien

2022 – Neustart Kultur Stipendium, Stiftung Kunstfonds.
– Residency-Stipendium 32. Sächsisches Druckgrafik Symposion.

2020 – 1. Preis zum “100 Sächsiche Grafiken”, Neue Säch. Galerie Chemnitz, DE. – Ankauf einer Arbeit: Kulturstiftung des Freistaates Sachsen (KdFS), DE.

2018/19 – Creator Broker Owner Förderung. Berlin, DE.
2016/17 – CDF-Landes-Stipedium, Ministerium für Bildung, Wissensch, Kultur MV, DE. 2015 – 1. Preis: Neue Sinnlichkeit 2015, JVA Magdeburg, DE.
2014 – Förderpreis INSOMNALE 2014 / artSIEBEN Kunstverein/Vorpommern e.V. 2009 – Ramón de Zubiría Stipendium. Universidad de los Andes. Bogotá, KOL.

– CUM LAUDE Bachelor Abschluss. Universidad de los Andes. Bogotá, KOL. – Abschlussarbeit mit Aufzeichnung, Universidad de los Andes. Bogotá, KOL. – Akademisches Stipendium der Johannes Gutenberg Universität. Mainz, DE.

Einzelausstellungen (Auswahl)

2021 – PSSST..! Raum für drastische Massnahmen. Berlin, DE.
2020 – #softpawn, @ck_offspace (ONLINE). Leipzig, DE.
2018 – Nicht sehen wollen/Nicht sehen können. Galerie Irrgang. Berlin, DE. 2017 – Mutuum Auxilium. Galería Jenny Vilà. Cali, KOL.

– Mutuum Auxilium. Fallada Haus. Greifswald, DE.

Projekts- und Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl)

2022

2021 2020

– Förderankäufe 2020-21. Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Landesvertretung Sachsen in Berlin, DE.

– Easter is the story of a woman, Gnezarethkirche (Kollab. mit STARTBAHN). Berlin, DE

– PASSANTEN (Amor&Pschyche), Mädler Art Forum. Leipzig, DE.
– “KENNZEICHEN L– Eine Stadt stellt sich aus”. Stadgesch. Museum. Leipzig, DE.
– THIS IS NOT FUNNY, Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten. Berlin, DE
– Pintura Inmortal. Galería EL MUSEO. Bogotá, KOL.
– STÖRENFRIEDE13. Biennale Sächs. Druckgrafik, Museum Druckkunst, Leipzig, DE. – NO HAY TIEMPO, Foro Space. Bogotá, KOL.
– 100 Sächsiche Grafiken 2020, Neue Sächsische Galerie Chemnitz, DE.
– WIN/WIN, Neu Angekaufte Kunstwerke der KdFS, HALLE 14, Leipzig, DE.

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